TLZ: „Mein Freund, die Klarinette“

Giora Feidman begeistert mehr als 600 Gäste beim Barockgartenkonzert in Heiligenstadt

HEILIGENSTADT. Leise Töne bahnen sich den Weg. Mehr als 600 Menschen sind da. Der Künstler tritt ins Sichtfeld – langsam und doch festen Schrittes. Von einer Sekunde auf die nächste ist es still. Eine ehrfürchtige Ruhe bricht sich Bahn – das Barockgartenkonzert 2012 in Heiligenstadt wird ein besonderes, weil ein Mann spielt, der Bewunderung verdient hat: Giora Feidman – ein Mann, der seine Klarinette als „Freund“ bezeichnet; im Publikum eine Familie sieht. Von der ersten Sekunde an gehört dem 76-Jährigen die volle Aufmerksamkeit. Bis zur letzten Reihe – mucksmäuschenstill ist es im Barockgarten.

Die Entscheidung, das Konzert unter freiem Himmel stattfinden zu lassen, haben die Vereinsmitglieder bereits am Vormittag getroffen. „Wir haben sämtliche Wetterradare analysiert“, sagt Rüdiger Eckart. Und doch bleibt die Ungewissheit, als gegen 20 Uhr eine dicke Wolke aufzieht. Regen bringt sie aber nicht und verschwindet, als Giora Feidman – er wird von der Russischen Kammerphilharmonie St. Petersburg unter der Leitung von Juri Gilbo begleitet – sein Programm beginnt. „Seien Sie unbesorgt! Ich habe Freunde da. Und die haben Musik lieb“, sagt er mit ausgestreckter Hand gen Himmel. Und tatsächlich: Es soll an diesem Abend kein einziger Regentropfen aus den Wolken fallen, die im Verlaufe dieses Konzertabends nur noch spärlich am Himmel verbleiben und zum Ende fast gänzlich verschwunden sind. Feidmann erzählt Geschichten mit jedem Ton, den er seinem Instrument entlockt. Seies es Stücke von Beethoven, die er gefühlvoll interpretiert, oder Nationalhymnen; die Klarinette und Giora Feidman sind eine Einheit. Später gehört auch das Publikum dazu, das zunächst in Ehrfurcht vor diesem omnipräsenten Künstler erstarrt.

Dabei ist er Mensch geblieben. Bereitwillig lässt er sich vor dem Konzert am Eingang des Barockgartens fotografieren. Für ankommende Gäste hat er einen netten Satz parat; und dass er ein Star sei, möchte er nicht hören. „Was ist ein Star?“, fragt er im TLZ-Gespräch, schaut zum Himmel, wo die Sterne (engl.: Star) leuchten.

Zurück auf die Bühne: Feidman präsentiert sich in Heiligenstadt, von dem er nach eigenen Worten viel gehört hat, als Sympathieträger. Die Bescheidenheit, fast will man Schüchternheit schreiben, wechselt mit Leidenschaft, als er die Bühne betritt und dort immer wieder das Publikum fordert. Feidman interpretiert seine Stücke mit einem Gefühl, das sich auf die Gäste überträgt und sie nach dem ersten Stück erstarren lässt. Erst ein herzliches Lächeln und eine „Bitte“ von Giora Feidman brechen dieses Eis – frenetischer Jubel brandet auf. Publikum und Künstler sind fortan eins. Wenn Giora Feidma, der für seine Verdienste um die Verständigung zwischen Deutschen und Juden das Bundesverdienstkreuz erhalten hat, tanzt, dann wippen die Gäste auf ihren Stühlen mit. Intoniert er gefühlvoll und leise, dann lauschen die Besucher andächtig den Tönen.

Ein Feuerwerk der Extraklasse

Lied um Lied vergeht so, und die zwei Stunden verrinnen. Giora Feidman spielt. Er habe angefangen und muss einfach weiterspielen – immer weiter. Der Star des Abends kann nicht aufhören. Dabei fordert er das Publikum, das zum Ende mit ihm singt, aber auch das Orchester. Zugabe um Zugabe spielt er, bis die Konzertbesucher plötzlcih allein beginnen zu singen. Dann singen die Frauen, dann die Männer – und Giora Feidman spielt. Die Klarinette ist sein Freund, beide sind eine Einheit. Und in diese Einheit fügt sich das Publikum ein, das seine Ehrfurcht vor diesem großen Künstler abgelegt hat und mit ihm ein Barockgartenkonzert der Extraklasse erlebt, das von einem ebenso einzigartigen Feuerwerk gekrönt wird. Und dann wird es wieder leise im Barockgarten – die Stille kehrt zurück in dieses Kleinod mitten in Heiligenstadt.

 Von Fabian Klaus